Kritik: Konzertante Aufführung der 1953 in Salzburg uraufgeführten Oper in der Felsenreitschule.

Der Aufführungsort, die Salzburger Felsenreitschule, ist an sich schon kafkaesk. Geheimnisvolle Arkaden, eine bedrohliche Felswand, Publikumsreihen wie in einem riesigen Gerichtssaal: Wie faszinierend könnte dort heute eine szenische Produktion der Oper „Der Prozess“ von


Gottfried von Einem
sein. Wie kann ein Individuum schuldig sein, dass nichts wissentlich falsch gemacht hat? Das in die Mühlen der Bürokratie gerät, die den Akt ewig verschleppt? Wie gehen Obrigkeiten heute mit Menschen um? Wie unabhängig ist Justiz in politisch heiklen Zeiten? Und haben Flüchtende auch etwas mit Flüchtlingen zu tun?

Von-Einem-Jahr

1953 wurde Gottfried von Einems Tonsetzung des Kafka-Werkes rund um die Verhaftung des Prokuristen Josef K. bei den Salzburger Festspiele uraufgeführt. Nun ist das Werk, 100 Jahre nach von Einems Geburt, zumindest konzertant wieder nach

Salzburg zurückgekehrt. Es ist ein packendes, intensives Stück Musiktheater, das rätselhaft genug für die kafkaesken Geheimpfade ist und doch dramaturgisch klar, um die Entwicklung des Protagonisten nachzuvollziehen.

Ist es zu konservativ, um als innovativer Wurf zu gelten? Mitnichten. Von Einem findet für jede Szene eine atmosphärisch dichte musikalische Sprache. Seine Ausflüge in die Unterhaltungsmusik der 1950er Jahre passen exzellent zur fast filmisch aufbereiteten Krimihandlung. Und auch „Tosca“, die Unterdrückungsoper schlechthin, wird zitiert.

Das RSO Wien ist unter der präzisen, kraftvoll zupackenden, dann wieder liebevoll zärtlichen Leitung des Einem-Schülers HK Gruber ein geradezu idealer Klangkörper für dieses Werk. Michael Laurenz singt die Partie des


Josef K.
höchst emotional und ausdrucksstark. Jochen Schmeckenbecher, Matthäus Schmidlechner, Lars Woldt, Johannes Kammler, Tilmann Rönnebeck (jeweils in mehreren Rollen) singen äußerst solide, Jörg Schneider den Maler Titorelli sehr gut. Ilse Eerens (mehrere Frauenrollen) könnte wesentlich besser besetzt sein, etwa mit einer großen Strauss-Sängerin. Das ist ein Manko der Produktion: Wenn schon konzertant, dann sollte es durchgehend famose Stimmen geben.

Die Uraufführung 1953 war eine Art politische Rehabilitation des Komponisten, der sich als Direktionsmitglied in Salzburg für Bert Brecht eingesetzt hatte. Der damals staatenlose, kommunistische Autor sollte im Auftrag Einems einen „Totentanz“ für Salzburg schreiben und dafür die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Als das publik wurde, kam es zum Skandal – und von Einem verlor seine Position in Salzburg. Mit „Der Prozess“ kehrte der Komponist nach Salzburg zurück, was letztlich ein künstlerischer Gewinn war.