Wer über rekordverdächtig niedrige Arbeitslosenquoten in Tirol ein ums andere Mal jubelt, sollte die Armutsquote nicht unter den Teppich kehren. Die Landesregierung ist gefordert, endlich mehr als nur Lippenbekenntnisse abzugeben. Landeshauptmann Günther Platter (VP) wird nicht müde des Lobes über den brummenden Wirtschaftsmotor und die daraus folgende niedrige Arbeitslosenquote im Land. Die Freude ob einer derartigen Entwicklung ist zu Recht angebracht und sollte nicht verschwiegen werden. Geht es jedoch um die Kehrseite der Medaille, so wird nur allzu gerne der Mantel des Schweigens ausgebreitet. Über die Armut in Tirol wird von Seiten der schwarz-grünen Landesregierung nicht viel in der Öffentlichkeit verlautet. Während Studien und Strategien beispielsweise zur Klima- und Energiezukunft des Landes des Langen und Breiten öffentlichkeitswirksam vorgetragen werden, wird die aktualisierte Armutsstudie lediglich im Internet veröffentlicht. Und auch dort finden sie nur Eingeweihte. Das sagt viel über den Umgang mit dem Thema.
Auch wenn die Armut in Tirol auf Basis der 2017er-Zahlen rückläufiger Tendenz ist: Im Schnitt der Jahre 2015–2017 (und dieser wird in der Landesstudie bewusst herangezogen, um eben statistische Schwankungen zu reduzieren) ist festzuhalten, dass jede sechste in Tirol wohnhafte Person von Armut bedroht ist. Österreichweit sind es 1,5 Millionen Menschen, wie unlängst die Statistik Austria – auf deren Zahlen auch die tirolbezogene Auswertung des Landes beruht – bekannt gab. Das größte Armutsrisiko liegt demnach bei Langzeitarbeitslosen, Ausländern und kinderreichen Familien. Jedoch sind auch Erwerbstätige nicht vor der Armutsfalle gefeit. Allein in Tirol kämpfen rund 27.600 Personen trotz Vollzeitbeschäftigung gegen den finanziellen wie sozialen Abstieg.
Mit der Reform der Mindestsicherung zur Sozialhilfe neu liegt die Befürchtung nahe, dass die Armutsgefährdung – wieder – weitere Kreise zieht. Platter will die Sozialhilfe nicht offen kritisieren, sondern heftet sich den 30-Prozent-Spielraum in Sachen Wohnkosten an die Fahnen. Dass sich das bei den explodierenden Wohnkos­ten in Tirol trotzdem oft nicht ausgehen und erneut viele Härtefälle produzieren wird, ist offenkundig. Umso mehr wettert der grüne Koalitionspartner gegen diese Reform. Soziallandesrätin Gabriele Fischer will gegensteuern. Und der Reform des Bundes zumindest in Tirol die Zähne ziehen. Ob sie es letztlich aber auch kann und darf, wird zu einem Gutteil vom Willen der VP abhängen. Für die Grünen wird die Sozialhilfe wohl zum innerkoalitionären Spagat. Und eine Frage der noch offenen Sozialhilfe-Ausführungsgesetze. Diese muss das Land bis Ende des Jahres vorlegen.