Deutschland oder Türkei? Just am Tag der Vergabe kommt Erdogan nach Berlin.

Deutschlands Teamchef Joachim Löw und Teammanager Oliver Bierhoff haben den FC Arsenal beim Training besucht. Mesut Özil, zurückgetretener Teamspieler und auf der Gehaltsliste der Londoner, hat es geschafft, den beiden aus dem Weg zu gehen. Die Misstöne rund um die Affäre Özil sind zu einem Teil auch dem gespannten Verhältnis zwischen Deutschland und der

Türkei geschuldet.


Özil
hatte vor der WM auf einem Bild mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan posiert. Dafür wurde er angefeindet, hat nicht sich, dafür aber seinen Rücktritt aus dem Team erklärt. „Ich wurde von Bernd Holzhauer (einem deutschen Politiker) als „Ziegenf++er“ bezeichnet“, schrieb Özil. In seiner Stellungnahme zeigte er sich auch vom Boss des deutschen Fußballbunds, Reinhard Grindel, enttäuscht, aber nicht überrascht. Der hat in seiner Zeit als Politiker gesagt, dass „Multikulturalismus in der Realität ein Mythos und eine lebenslange Lüge“ sei.

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Erdogan-Besuch

Vor diesem Hintergrund ist heute nicht nur der Staatsbesuch von Erdoğan in
Deutschland (bis Samstag in Berlin und Köln) brisant, sondern auch eine Entscheidung der


UEFA
in ihrem Sitz im Schweizer Nyon interessant. Denn Deutschland und die
Türkei wollen die Europameisterschaft 2024 veranstalten. Wenn Erdoğan heute in Berlin aus dem Flugzeug steigt, ist er schon Sieger oder Verlierer. Der britische Journalist Patrick Keddie, der über den türkischen Fußball ein Buch geschrieben hat, sagt, für Erdoğan sei es eine Win-win-Situation: „Wenn die Türken gewinnen, ist es für Erdoğan eine gute Gelegenheit, sich ins Rampenlicht zu stellen. Wenn sie den Zuschlag nicht erhalten, kann er natürlich sagen, dass Europa die Türkei unfair behandelt.“

Dreimal scheiterte die Türkei bereits mit einer EM-Bewerbung für die Turniere 2008, 2012 und 2016 denkbar knapp mit 6:7-Stimmen an Frankreich.

Ab 15 Uhr wird das Ergebnis erwartet. Um 13 Uhr findet die Präsentation der beiden Bewerber statt. Die türkische und deutsche Delegation werden unter Ausschluss der Medien zunächst ein Video zeigen und anschließend 15 Minuten Rede und Antwort stehen. Wer beginnt, legt übrigens das Los fest. Für den DFB werden unter anderen Teamchef


Joachim Löw
und Weltmeister Philipp Lahm zugegen sein. Anschließend werden durch die UEFA-Administration noch die Bewerbungsdossiers evaluiert.

Wahlberechtigt bei der geheimen Abstimmung sind 18 Funktionäre, sofern sie in Nyon vor Ort sind – ansonsten verfällt die Stimme. Grindel und sein Amtskollege vom türkischen Verband, Servet Yardimci, dürfen als Bewerber nicht abstimmen. Den Vorsitz der Sitzung übernimmt UEFA-Präsident Aleksander Ceferin. Bei Stimmgleichheit bestimmt der Sitzungsleiter den Sieger. Wenn er will, kann er dies per Losentscheid tun. Dabei dürfte sicherlich hilfreich sein, dass der


DFB
die Wiederwahl von Ceferin am 7. Februar 2019 unterstützt.

18 Wahlberechtigte

Den Slowenen haben die Deutschen schon vor gut zwei Jahren unterstützt. Damals war Michael van Praag gegen ihn angetreten. Der Niederländer ist unter den Wahlberechtigten, war damals von den Deutschen enttäuscht, will heute aber komplett neutral sein.

Im stimmberechtigten UEFA-Exekutivkomitee sitzt kein Österreicher, weshalb niemand vom ÖFB in Nyon ist. Florence Hardouin, ehemalige Marketing-Direktorin des französischen Verbandes, ist die einzige Frau. Der Schwede Lars-Christer Olsson wird wegen Krankheit nicht in der Schweiz sein und abstimmen. Unklar war, ob Andrea Agnelli wegen privater und beruflicher Termine in die Schweiz kommt. Mit Davor Suker, Zbigniew Boniek und Borislav Michajlov sind drei ehemalige Top-Kicker im Gremium.

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Wie die Türkei die EM an Land ziehen will

Es wäre „unverantwortlich“, die EM 2024 an die Türkei zu vergeben, sprach Uli Hoeneß am Rande des Münchner Oktoberfests in einem der vielen Bierzelte in eine Kamera und sprach damit die wirtschaftliche Lage des Mitbewerbers an. Tatsächlich befindet sich die Türkei in einer ernsten Währungskrise.

Dennoch zieht Staatschef Erdoğan alle Register, um das Turnier in sechs Jahren ins Land zu holen. „Birlikte paylasalim“ – Lasst uns gemeinsam teilen, lautet das Motto der Bewerbung.

Wer teilt, und wer empfängt sind jedoch zwei verschiedene Paar Schuhe. Der UEFA versprach Erdoğan als Veranstalter Steuerfreiheit und damit riesige Gewinne. Freilich mit dem Wissen, dass UEFA-Boss Ceferin den Aspekt der Verdienstmöglichkeit für den europäischen Verband als „entscheidend“ bezeichnet hatte. Die Stadien würden im Gegensatz zur deutschen Bewerbung auch mietfrei zu Verfügung gestellt werden. Und das, obwohl man genau hier überhaupt nicht gespart hat.

Im Falle des Zuschlags würde Erdoğan weiter drauflegen. Das erst vor weniger als 20 Jahren um 135 Millionen US-Dollar erbaute Atatürk Olympia-Stadion in Istanbul, mit dem man sich erfolglos für die Olympischen Spiele 2008 beworben hat, würde abgerissen werden. Eine neue Arena für 85.000 Fans soll dann an selber Stelle errichtet werden.

Weiters könnte im Stadion von Galatasaray, in einer neuen Arena in Ankara, in Antalya, Bursa, Eskisehir, Kocaeli, Trabzon, Konya und sogar in Gaziantep nahe der syrischen Grenze gespielt werden. Überall stehen moderne Arenen, die erst kürzlich eröffnet wurden und ihresgleichen suchen.